Aufschwung XXS

Kann man noch zählen, wie oft wir heute das Wort ›Krise‹ hören? Es gibt in dieser Zeit besondern viele davon. Oder sieht das nur so aus?

Nein. Denn wir sind Meister darin geworden, Krisen nicht zu lösen, sondern zu ›überspringen‹. Wie ist das gemeint?
Nun, unsere Taktik besteht aus folgenden höchst wirksamen Elementen:

1. Kleinreden. Beispiel: Wir haben unglaubliche Mengen Geld in kaputte Banken gesteckt. Lösung: Das ist vernachlässigbar, wenn man die Wichtigkeit der Banken bedenkt.

2. Wachsen. Beispiel: Es gibt zuviele Autos. Lösung: Wir bauen mehr Straßen.

3. Verlagern. Beispiel: Wir verschmutzen mit unserer Industrie unsere Luft und unsere Flüsse. Lösung: Wir verlagern die Industrie nach Asien.

4. Verkaufen: Beispiel: Es gibt zuviele Abgase aus Fabriken: Lösung: Wir räumen jedem das Recht ein, soviele Abgase wie er will zu produzieren, wenn er anderen dafür Geld gibt.

Wie man sieht, haben wir es also wirklich drauf, jede Krise zu meistern. Komisch nur, dass uns viele Probleme immer wieder vorgelegt werden, obwohl wir sie mittels obiger ›Maßnahmen‹ längst gelöst zu haben glaubten. Ist das nur eine fiese Laune des Schicksals oder gar der Neid der Schöpfung gegenüber einer Zivilisation, die sie zu überflügeln droht?

Ohne zahlreiche Krisen hätte sich die Menschheit nicht so weit vom Affen entfernen können. Ich will die Frage außen vor lassen, ob diese Entwicklung uns glücklicher gemacht hat oder nicht. Aber Staunen machen kann die Entwicklung der Menschheit schon. Und zumindest insgeheim hofft jeder von uns, dass weitere Veränderung unser Leben besser machen wird.

Doch wie kommt es zu einer Veränderung? Der Kapitalismus versucht das – teilweise erfolgreich – durch unablässige Neuerungen. Vielleicht ist es der treudoofe Irrglaube von Kapitalismus-Fetischisten, dass man durch diese Innovationen, die man stetig von sich aus veranlasst, Krisen verhindern kann. Einfach dadurch, dass Nicht-Funktionierendes durch Besseres ersetzt wird und so ein Krise garnicht erst richtig auftreten kann, weil aufblitzende Probleme fortlaufend sofort gelöst werden. Haha.

Dieser Glaube ist natürlich putzig, aus gleich mehreren Gründen: Die unablässig sprudelnden Neuerungen sind nur zu einem verschwindend geringen Teil wirklich ein Fortschritt. Es handelt sich vielmehr um  sogenannten Fortschrott. Kein Wunder, ist doch die oberste Prämisse der kapitalistischen Neuerung die Maximierung des Profits und nicht die Maximierung des Nutzens oder der Glücksseligkeit.

Weiterhin ist der sogenannte Markt ein Mechanismus, der auf einigen Gebieten funktioniert, aber auf vielen auch nicht. Das Unterbieten eines Preises und einer Qualität sind zwar ziemlich sicher. Aber wohin dieses ›Funktionieren‹ des Marktes am Ende führt – zu mehr Glück der Menschen oder zumindest weniger Leiden für alle – ist wieder die Frage.

Außerdem wird der Wandel natürlich verhindert, wenn Pfründe Mächtiger auf dem Spiel stehen. Mächtig ist der mit einem Monopol, vor allem der mit dem Meinungsmonopol. Und hier kommt die Krise zum Zuge: Sie wird für alle offenbar, wenn die bisherigen Mittel zur Lösung eines Problems nicht mehr funktionieren. In diesem Moment könnte das Neue um sich greifen – aber nur, wenn die Ernsthaftigkeit der Probleme groß genug ist, um unsere Angst vor Veränderungen und unsere Bequemlichkeit zu überwinden.

Wenn nun aber jemand kommt, der uns die Lösung der anstehenden Probleme mit bequemeren Mitteln verspricht, so fallen wir sehr gern darauf herein. Wir danken für den Betrug, schließlich muss sich dann nicht soviel verändern. Und Sicherheit ist schließlich alles, obwohl wir uns bereits sicher zu Tode langweilen. So vergeben wir die Chance, die in der Krise steckt. Denn ab und zu ist es einfach Zeit für grundlegende Änderungen. Und wenn die nicht geschehen, wird die Krise so oft wiederkommen, bis sich die nötigen Veränderungen doch noch Bahn brechen – dann jedoch umso schockierender, brutaler, katastrophaler.

Wir haben also die Wahl: ›Freiwillig‹ etwas zu ändern, also schonender, mit mehr Kontrolle, dafür aber früher. Oder gewaltsam und in einer Katastrophe. Letzteres wird gern genommen.

In unseren Breiten ist Aufregung oft etwas Positives, wenn sie in unser normiertes Leben einbricht. So kitzeln wir unsere Nerven, bis sie bersten. Der Entertainment-Faktor einer Katastrophe ist beträchtlich: Die Sender können das normale Programm unterbrechen und sich in Sondersendungen wichtig machen. Geschasste Präsidenten können mit Flugzeugen voller Gold in den Ruhestand schweben. Überhaupt verkaufen sich Edelmetalle, aber auch Waffen, Ratgeber und Wurst in Dosen viel besser. Und Konsum ohne Ende nützt letztlich allen.

Betrachten wir die nächste Katastrophe also etwas liebevoller als bisher.