nackt, obszön, Scham

Manche Menschen sehen in ihrer Besonderheit geradezu obszön aus. Sie haben ein derart spezielles Gesicht, dass es mich anspringt, dass es sich voll vor mir ausbreitet, ganz nackt. Ich kann das Gesicht schön finden oder nicht, das ist egal. Der Effekt ist derselbe.

Wenn es dann auch noch Schauspieler sind, dann braucht es ja nicht sein, dass ich mich schäme, diese Besonderheit zu beglotzen. Die wollen das.

Bemerke ich immer, wenn ich auf einer Brücke stehe?

Keine Angst, Brücken als Zeichen, im übertragenen Sinne gebraucht, sind so langweilig wie Fenster in gleicher Rolle. Ich rede hier von echten Brücken.

So wie es Manchen als eine philosophische Frage erscheint, ob es sich um einen Tunnel oder eine Brücke handelt, wie beim Berliner Gleimtunnel (der eine Brücke ist), so sind viele Brücken unsichtbar. Ich bemerke sie nicht, weil sie sich so breit und flach strecken und das arme kleine Gewässer darunter unsichtbar werden lassen.

Von unten aber sind sie sehr wohl sichtbar. Monströs lümmeln sie die Umgebung kaputt, lehnen sich über die Landschaft, um sie zu verdecken.

Um die Landschaft und damit das Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen, lohnt sich der Abstieg zu den Pfeilern dieser Brücken.

Melancholie

Ich glaube, die von eigener Hand Gestorbenen könnten wegen bestimmter Zufälle noch am Leben sein (weil sie im letzten Moment wegen eines Tropfen Hoffnungs doch noch vom Plan abließen, wegen des Blicks eines Fremden oder eines Vogels, der das Gegenteil von Zeit ist), und sie könnten sich auch anders entscheiden, weil die Lebendigen doch ausreichend bewiesen haben, dass sie fähig sind, auf die andere Seite zu wechseln, und zwar aus Gründen, die für den einen schwer wiegen und für den anderen nichts sind als eine Lappalie.

Ich glaube, dass alle interessanten Leute zur Melancholie neigen.

Schraubenzieher

Der Begriff  „Schraubendreher“ beruht auf einem fundamentalen Irrtum des 20. Jahrhunderts, nämlich dem, dass die Beherrschung der Welt durch eine exakte Sprache möglich wäre. Dieser Irrtum ist Folge eines anderen, der sagt, Sprache überhaupt wäre exakt und müsste die Wirklichkeit abbilden. Sprache aber ist eine eigene, niemals exakte Wirklichkeit.