nackt, obszön, Scham

Manche Menschen sehen in ihrer Besonderheit geradezu obszön aus. Sie haben ein derart spezielles Gesicht, dass es mich anspringt, dass es sich voll vor mir ausbreitet, ganz nackt. Ich kann das Gesicht schön finden oder nicht, das ist egal. Der Effekt ist derselbe.

Wenn es dann auch noch Schauspieler sind, dann braucht es ja nicht sein, dass ich mich schäme, diese Besonderheit zu beglotzen. Die wollen das.

Bemerke ich immer, wenn ich auf einer Brücke stehe?

Keine Angst, Brücken als Zeichen, im übertragenen Sinne gebraucht, sind so langweilig wie Fenster in gleicher Rolle. Ich rede hier von echten Brücken.

So wie es Manchen als eine philosophische Frage erscheint, ob es sich um einen Tunnel oder eine Brücke handelt, wie beim Berliner Gleimtunnel (der eine Brücke ist), so sind viele Brücken unsichtbar. Ich bemerke sie nicht, weil sie sich so breit und flach strecken und das arme kleine Gewässer darunter unsichtbar werden lassen.

Von unten aber sind sie sehr wohl sichtbar. Monströs lümmeln sie die Umgebung kaputt, lehnen sich über die Landschaft, um sie zu verdecken.

Um die Landschaft und damit das Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen, lohnt sich der Abstieg zu den Pfeilern dieser Brücken.

Mobilitäts-GEZ

Die Wissenschaft hat festgestellt: Menschen verbrachten und verbringen immer etwa die gleiche Zeit damit, unterwegs zu sein, in verschiedensten Ländern und zu verschiedensten Zeiten. Und das, obwohl sich die Verkehrsmittel erheblich beschleunigt haben. So verschnellerten sich die Franzosen auf Reisen in den vergangenen ca. 200 Jahren jährlich um drei Prozent.

Die eingesparte Zeit beim Zurücklegen der Strecke wird also nicht für Anderes (Besseres?) genutzt, sondern in die Verlängerung der Wegstrecke investiert. Haben wir also ein „Bedürfnis“ nach Unterwegssein? Die Frage müsste man einem Pendler stellen…

Neulich allerdings bemerkte ich, fast erstaunt: Manchmal bin ich unterwegs, nur um unterwegs zu sein. Der Spaziergang ist Ausdruck dieses Verhaltens.

Aus Untersuchungen ergibt sich auch, dass mobile Menschen regelmäßig einen Aktionsradius von etwa 20 Minuten Wegzeit haben. „Analog zur Biologie lässt sich dieses Umfeld als menschliches Territorium bezeichnen“, schreibt das Blog „Zukunft Mobilität“, von dem ich diese Erkenntnisse durchschleife.

Melancholie

Ich glaube, die von eigener Hand Gestorbenen könnten wegen bestimmter Zufälle noch am Leben sein (weil sie im letzten Moment wegen eines Tropfen Hoffnungs doch noch vom Plan abließen, wegen des Blicks eines Fremden oder eines Vogels, der das Gegenteil von Zeit ist), und sie könnten sich auch anders entscheiden, weil die Lebendigen doch ausreichend bewiesen haben, dass sie fähig sind, auf die andere Seite zu wechseln, und zwar aus Gründen, die für den einen schwer wiegen und für den anderen nichts sind als eine Lappalie.

Ich glaube, dass alle interessanten Leute zur Melancholie neigen.