Zum guten Schluss: Die Weltrevolution liegt im Darm

Manchmal passiert eine Revolution, und weil wir uns daran gewöhnt haben, dass viel Unbedeutendes so genannt wird – Revolution – und weil wir an Informationsüberfluss leiden und an der allgemeinen Übertreibung, bekommen wir es gar nicht mit: Der Mensch hat ein neues Organ bekommen, zwei Kilogramm schwer. Oder besser: Obwohl es schon immer da war, ist es ihm jetzt erst bewusst geworden.

SLOWMAG Nr.17, S.80-81

Dieses Organ tauscht sich mit unserer Umwelt aus, und es erschafft die Physis unseres Körpers, täglich und Gramm für Gramm. Der Mensch konnte nur entstehen, weil die Gemeinschaft dieser zwei Kilogramm Bakterien in seinem Darm den Körperzellen bei der Verwertung des Essens hilft. Körperzellen und Mikroben arbeiten also zusammen. Ein ständiger Strom von Bakterien wird in uns aufgenommen und verändert uns. Der Pfad führt natürlich auch wieder aus dem Körper hinaus: 10 bis 20% des Stuhls bestehen aus Mikroben. Unsere Verbundenheit mit der Erde, auf der wir leben, könnte kaum anschaulicher beschrieben werden.

Doch was seit Jahrtausenden funktioniert, hat die moderne Ernährung aufgekündigt. Zunächst fiel das nicht weiter auf, weil die Mikroben viel wegstecken und ausgleichen. Nun langsam sind die Folgen so omnipräsent, dass sich alle Welt fragt: Woher kommen all die Allergien und Krankheiten, wo wir doch so vorbildlich keimfrei leben wie noch nie?

Wir verwenden heute immernoch die gleiche Sprache wie im 19. Jahrhundert, um das Wirken der Bakterien zu beschreiben. Damals konnte man durch feinere Mikroskope die Bakterien erstmals gut beobachten. Die wuselnden Gruppen müssen den Forschern wie feindliche Armeen von oben erschienen sein. Den Menschen drängte es, in dieser Welt der Feldherr zu sein, um Krankheiten besser beherrschen zu können. Eine Krankheit, so die Meinung, dringe von außen in den Menschen ein. Gelinge es, den Erreger zu vernichten, werde man gesund. Viele Menschen denken noch heute so, obwohl diese Annahme durch eine Forschung entstand, die mit verfälschenden Methoden arbeitete. Der berühmte Robert Koch züchtete Bakterien zu Reinkulturen heran, die in der Natur nicht vorkommen, weil dort immer verschiedene Mikrobenarten zusammen leben. Diese Reinkulturen verhalten sich deshalb anders als im Körper.

In einer Zeit, in der das Militärische im Denken großen Raum einnahm, unterstellte man, das Leben der Einzeller sei ein unablässiger Kampf gegeneinander und auch gegen den Menschen. Bis heute dreht sich unsere Vorstellungswelt darum, dass Bakterien »angreifen« und »Kolonien« bilden würden, oder dass sie »abgetötet« werden müssten.

Erstaunt nimmt die Wissenschaft nun zur Kenntnis, dass sich der weitaus wichtigste Teil des Bakterienlebens aber um Kooperation dreht. Die Mikroben teilen sich in veränderlichen Anteilen die Aufgabe, unsere Nahrung zu verwerten. Im Lauf der Evolution wurde die Abstimmung von Darmbakterien und Körperzellen perfektioniert, um das Beste aus den Lebensmitteln in den Körper zu geben. Dies hat so lange bestens funktioniert, wie die Nahrung weitgehend natürlich geblieben ist. Was dann kam, ist nicht nur ein Resultat der Sprache einer untergegangenen Epoche: Essen, das in Fabriken so stark verarbeitet wird, dass die Darmbakterien es nicht mehr richtig verwerten können; übertriebene Hygiene, die viele Bakterien in unserer Nähe tötet oder eine Umwelt, die sie zu schädlichen Reaktionen herausfordert. Der Körper des Menschen kann ohne Weiteres als ein Schwarm von Lebewesen angesehen werden, der sehr gut in eine entsprechende Umwelt eingepasst war – bis zu dem Zeitpunkt, als wir selbst unsere Umwelt so verändert hatten, dass sie von da an nicht mehr zu uns passte!
Jeder Einzeller, der in den Körper kommt, bringt auch eine Botschaft von draußen mit. Lebensmittel, die nur noch wenige Informationen enthalten, können uns nicht die gleiche Lebenskraft bringen wie natürliches Essen. Dessen ungeachtet werden weiterhin etwa 35.000 Tonnen Gift absichtlich jedes Jahr auf Deutschlands Böden verteilt.

Gibt es »gute« und »schlechte« Bakterien? Zumindest ist unsere Vorstellung der Abläufe viel zu simpel. Denn ob Bakterien in einem Lebensmittel für uns schädlich sind, hängt oft einfach davon ab, ob unser Darm gesund ist. Ein gutes Beispiel ist EHEC, dass vor einiger Zeit für Panik sorgte. In eigentlich ungefährliche E.coli-Bakterien wurde damals ein giftiges Eiweiß aus anderen Bakterien übertragen – es wird vermutet, dass Antibiotika etwas damit zu tun hatte. Alle mit EHEC-Symptomen erkrankten Menschen hatten Bio-Sprossen von einem bestimmten Hof gegessen. Doch als man diesen Herstellungsort prüfte, fand man kein EHEC: Das »giftige« Gen war dort ausgeschaltet, weil es gesunde Umweltbedingungen auf dem Hof aus Sicht der Bakterien nicht erforderten, das Gift zu produzieren.
Vielleicht war die Darmflora der am schmlimmsten von EHEC betroffenen Menschen nicht gesund, so dass die Bakterien das Toxin bildeten? Fest steht, dass man sich durch Bioernährung und Einnahme einer probiotischen Mikrobenmischung schnell wieder von EHEC erhohlen kann. Und das, obwohl Menschen daran gestorben sind.

Was bedeutet das? Manche Darmbakterien sind genetisch in der Lage, Gifte zu produzieren, sie tun es aber nicht. Denn entscheidend sind nicht die Gene allein, sondern, ob die Bauanleitung auf ihnen abgelesen wird. Dazu sehen sich die Bakterien nur in einem feindlichen Millieu gezwungen! Je weiter unser Essen von einer frisch gewachsenen Pflanze entfernt ist, desto schwieriger ist es vom Mikrobiom zu verwerten. Da sich Zahl und Arten der Bakterien nach dem richten, was wir essen, leidet die Vielfalt von Bakterien im Darm bei »toter« Nahrung. Der Darm kann buchstäblich löchrig werden. Die Schäden des industriellen Essens setzen sich aber auch im Äußeren unserer Welt fort. Es zeigt sich, wie alles zusammenhängt – viel mehr, als wir uns täglich bewusst machen. Was außen geschieht, geht auch nach innen. Egoismus verfehlt am Ende sein Ziel, er ist sinnlos.

Antibiotika werden also verdächtigt, EHEC geschaffen zu haben. »Anti-Biotika« bedeutet: gegen Lebewesen. Dieser Name kann zu Denken geben. Bei der Entdeckung der Antibiotika ging man getreu dem kämpferischen Weltbild davon aus, dass die »Antibiotika« Waffen wären, die von den einen Bakterien zur Bekämpfung der anderen eingesetzt werden. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Informationsmedien. Antibiotika wirken wie sehr laute Geräusche auf ein menschliches Gespräch – es kann nicht fortgesetzt werden. Können sich die Bakterien nicht austauschen, kann auch die Nahrung nicht gut verwertet werden und der Darm wird beschädigt.
Eigentlich müsste ein krankes Lebewesen passende Bakterien schlucken, die das vorhandene Mikrobiom im Darm ergänzen und ihm wieder »zeigen«, wie ein funktionierendes Team entsteht. Stattdessen werden mittels Antibiotika alle Bakterien beseitigt. Das hilft zwar erstmal gegen die Krankheit, ändert aber nichts an den krankmachenden Ursachen, und hat langfristige Nebenwirkungen.

Bekommt man Antibiotika verschrieben, vernimmt man den ärztlichen Rat, unbedingt die volle Dosis einzunehmen, auch wenn man sich schon wieder gesund fühlt. Diese Regel wird jedoch von vielen nichtökologischen Tierhaltern missachtet, und das mit Absicht. Sie mischen – verbotenerweise – niedrige Dosen Antibiotika in das Tierfutter, weil ihre Tiere dann schneller schwerer werden. So entstehen Resistenzen, die zum Beispiel zu den sogenannten Krankenhauskeimen führen. Wer nicht biologisch erzeugtes Fleisch isst, nimmt diese Antibiotika ebenfalls in sich auf und zerstört seine Darmflora noch mehr als ohnehin schon durch die moderne Nahrung.
Antibiotika verteilen sich von allein in der Umwelt, werden aber auch absichtlich in Form von großen Mengen Tierkot und -urin auf die Felder ausgebracht (200 Millionen Tonnen jährlich in Deutschland).
Wir müssen wieder Lebensmittel essen, die gut für unsere Bakterien und damit gut für uns sind. Dann werden wir Allergien und Unverträglichkeiten, aber auch Krebs und andere Krankheiten zurückdrängen. Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere Nahrung anders erzeugen, als heute in den Industriestaaten üblich ist. Aber gesund produzieren kann man eben nicht in riesigen Agrarfabriken. Wir werden zwangsläufig zu neuen Methoden in der Landwirtschaft kommen, die vielen ganz alten, kleinteiligen gleichen.

Was tun? Zuerst sollten wir uns darüber bewusst werden, wie wir gepolt sind: Wegen (oft unbewusster) Glaubenssätze, die von veralteten Forschungsergebnissen abstammen, ignorieren wir unsere wahren Bedürfnisse. Es ist an der Zeit, das Gut-/Böse-Denken zu beenden und damit die Holzhammermethoden der Vergangenheit als solche zu begreifen. Eine sterile Umgebung ist nicht gesund. Antibiotika sollten dem absoluten Notfall vorbehalten werden. In der konventionellen Tierhaltung müssen endlich die geltenden Gesetze durchgesetzt werden.

Es erscheint mühsam, sich umzugewöhnen, zum Beispiel anders zu essen. Doch erwartet uns nicht nur Anstrengung, sondern auch mehr Genuss. Wenn wir uns an andere Ideale gewöhnt haben, werden wir die natürlichen Geschmäcker der Dinge wieder mehr zu schätzen lernen, und die eindimensionalen, künstlichen Aromen als wichtigtuerisch und aufgeblasen empfinden.
Und wir werden ein besseres Gewissen haben: Wer will nicht zufrieden sein mit diesem seinen Anteil an der Welt, statt sich dem Elend mit verschränkten Armen gegenüber zu stellen? Der Glaube daran, dass dies geschehen kann, macht die freiwillige Veränderung erst möglich. Naiv wäre, Veränderung an diesem System für unmöglich zu halten. Die Nahrungsmittelindustrie hat kein Interesse daran, dass wir unser Essen kostenlos auf jeder Wiese ernten. Aber eine Frühlingswiese ist tatsächlich ein riesiger Salat. Den meisten Menschen heute fehlt nur das Wissen darum – oder aber die vielfältige Wiese.

Auch darin liegt die Aufgabe: Lassen wir den Rasen wieder eine Wiese werden. Begreifen wir die Schönheit, die uns die Natur kostenlos ohne Dünger, Vertikulierer und Planierraupe liefert. Sehen wir den vermeintlichen Zufall als Freund, der Dinge zustande bringt, wie wir sie mit unseren zuletzt doch kleinen menschlichen Mitteln nicht bewirken könnten. Befreien wir uns von dem Glauben, dass allein bewusstes menschliches Tun die Welt wünschenswert verändert.

Der Wandel wird von unten kommen, von jedem einzelnen. //

 

 

Ein wichtiges Buch zum Thema und Anregung für diesen Artikel: »Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit« von Dr. Anne Katharina Zschocke:
www.darmbakterien-buch.de

Düngen ohne Dünger:
zeit.de