Das Treppenhaus

Das Treppenhaus nimmt bereitwillig unsere Spuren und die unserer Schrank-Ecken auf. Und sonst? Was ist ein Treppenhaus für ein Raum? Und wen interessiert das?

Es ist ein Nicht-Ort, den wir möglichst schnell durchqueren wollen. Niemandes Ziel ist das Treppenhaus, vielmehr erscheint es schon fast als ein Übel. Wir haben keine Wahl, als es zu benutzen. Und es ist ein Ort der nicht erbetenen Begegnung. Ein Treppenhaus passt nicht in unsere Zeit, in der Vereinzelung nicht durch körperliche Nähe gemindert wird, sondern durch digitale. Am liebsten hätte jeder eine eigene Treppe (seinen eigenen Fahrstuhl gar), dann würde man nicht Fremden körperlich so nahe kommen, wo man sich doch schon zu Hause wähnt. Dementsprechend lieblos behandeln wir dieses »Haus« der Treppe. Wurden hier früher Blumen von den Mietern aufgestellt und mannigfaltig verzierte Fußmatten und Türschilder gepflegt, so bietet sich heute eher ein Bild der Bastion Wohnungstür.

Manchmal steige ich die Treppe hoch und sehe bei einem Nachbarn die Tür offen stehen. (Das passiert nur bei bestimmten Nachbarn, bei anderen nie.) Oder sie steht halboffen. Jedenfalls ist sie nicht geschlossen, und Gerüche und Geräusche dringen hinaus als Kostprobe einer ganzen, eigenen Welt. Es sind ausschließlich Leute mit Kindern. Die Grenzstation Wohnungstür ist durchlässiger bei diesen Wohnungen, in denen Kinder leben, denn Kinder kümmern sich nicht um die festgefügten Vorstellungen ihrer Eltern von Privatheit, nicht um die Angst vor Diebstahl oder Eindringen des Unbekannten. Es ist ein gutes Zeichen, zumindest ein Zeichen des (gedankenlosen) Nicht-Misstrauens, wenn Kinder die Wohnungstür offen lassen, und wenn sie den Hof in Beschlag nehmen zum Spielen. Das »Mehrfamilienhaus« wird dann zu einem kollektiven Ort, der er gemeinhin – erstaunlicherweise – nicht ist. Denn die große Nähe der Fremden können wir nur auf zwei Wegen aushalten: Entweder wir blenden die anderen aus, oder wir integrieren Sie in unsere gefühlte »Großfamilie«.

Der Ausblender ist daran zu erkennen, dass er bei einem Treffen im Treppenhaus Mühe hat, die Anwesenheit des anderen zu bemerken – so gut funktioniert seine Verdrängung. Er grüßt nicht, denn sowohl Ort als auch Person sind für ihn nicht vorhanden. Er sieht den fremden Mitbewohner höchstens schemenhaft, und sein Bewusstsein ist bis zum Verlassen des ungeliebten Treppenhauses wie ausgeknipst.

Die Großfamilien-Lösung dagegen erweitert die Wohnung um die Quadratmeter des Treppenhauses. Es entsteht ein freundliches Klima für Digitalkäufer (Paketannahme) und Aushilfe mit Werkzeug und Lebensmitteln. Aber natürlich droht auch Gefahr: Zügellose Nähe-Sucher sitzen nur wenige Türen weiter, verbunden durch den merkwürdigen halböffentlichen Ort des Mehrfamilien-Treppenhauses.