Die Nachrichten

Nur der, der satt ist und dessen Grundbedürfnisse befriedigt scheinen, kann wohlfeile Reden halten. In dieser Lage hebe ich nun dazu an.

Es geht in dieser Ausgabe um die Balance, und die kann nur der haben, der sich recht wohl fühlt und der das Gefühl hat, das sein Leben Sinn ergibt (ein subjektives Gefühl, sicher). Doch zum Beispiel als Radiohörer  bekommen wir stündlich oder sogar halbstündlich so viel Unerfreuliches aus aller Welt serviert, dass wir uns für unser kleines Glück geradezu schämen könnten. Was ist mein erfolgreich abgeschlossenes berufliches Projekt gegen Zehntausende, die gerade in diesem Moment Ihr Zuhause durch eine Flut verlieren? Und hat dieses mein Projekt etwas dazu beigetragen, dass sich die Lebensumstände auch nur eines einzigen Leidenden verbessert haben?

Wer spricht diese Gedanken noch aus? Wer lässt diese Gedanken, die sicher in fast jedem zuhause sind, überhaupt noch ins Bewusstsein steigen? Wie oft haben wir an langen Abenden darüber geredet und waren uns einig? Und wie wenig von diesen wahren Worten schaffen es, Taten in der Welt zu werden?

Mancher nimmt deshalb keine Nachrichten mehr zur Kenntnis. Ich finde das ein probates Mittel, fast ein Mittel der Notwehr, um die endgültige eigene Abstumpfung zu verhindern. Dies gilt zumindest für die »normalen« Nachrichten, die von den immergleichen Agenturen geschrieben werden, und die uns größtenteils Horrormeldungen aus
aller Welt in geballter Form präsentieren. Es wird so getan, als ob es für alle Welt unverzichtbar sei, die Katastrophen in den einzelnen Regionen zu kennen, auch wenn damit kein praktischer Nutzen z.B. durch Hilfe, verknüpft ist.

Der ursprüngliche Gedanke war wohl, dass Anteilnahme bereits ein Wert ist und in Hilfe umschlagen kann. Aber vielleicht wurden die Meldungen auch nur durch die Welt geschickt, einfach weil man es konnte. Die teuren und unter abenteuerlichsten Umständen gelegten Unterseekabel mussten genutzt werden, und sie konnten dafür genutzt werden, Neugier in ereignisarmen Zeiten zu befriedigen.

Doch nun ist es Zeit, diese Praxis zu überdenken. Hinzu kommt, Aufmerksamkeit auf Personen und Ereignisse gelenkt wird, während wir in der gleichen Zeit anderes, vielleicht Entscheidenderes nicht sehen. Es liegt auch hier wieder ein Trugschluss zu Grunde: Die Worte und Taten mächtiger und bekannter Personen oder Organisationen sind meist nicht genauso folgenreich wie sie selbst, schon allein, weil sie sich in vielen Ablenkungsmanövern und Pausenclownerien ergehen – nicht zuletzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. Wir haben also das Recht, nicht die tausendste Meldung über die Innenpolitik der USA zu hören, während uns wegweisende, sogar außenpolitische Entscheidungen z.B. südamerikanischer Staaten vorenthalten werden.

Die Darstellung der Meldungen ist zudem so stark verkürzt, dass eine sinnvolle Einordnung des Geschehens für den Rezi-pienten nicht möglich wird, zumal, wenn er nicht umfassend mit Hintergrundbildung ausgestattet ist. Dieses schwer verdauliche Konzentrat wird dargereicht zwischen größeren Stücken Unterhaltung, die scheinbar dazu dienen, uns vom eben gehörten Elend wieder abzulenken und es uns vergessen zu machen, worauf man sich nach Ende solcher Nachrichten auch gern einzulassen bereit ist.

Aber diese Form – Verabreichung von Schocks und anschließende Überreizung mit Banalem, um diese Schocks wieder zuzudecken – ist ein zuverlässiges Mittel, um jede Form von Engagement zu verhindern. Weil diese wechselnde Berieselung Ohnmachtsgefühle hervorbringt und jedes kleine persönliche Engagement für Gesellschaftliches sinnlos erscheinen lässt angesichts der großen »Events«, die ständig wortgleich wiederholt beschrieben werden. Probleme werden so nicht beschrieben, sondern Unabwendbares wie Naturkatastrophen. Wenn es ein Problem gibt, könnte auch einen Lösungsweg  existieren. Doch wenn ein Hurrikan alles zerpflückt, wer kann als kleiner Mensch dagegen etwas tun?

Dieses Dilemmas nimmt sich heute das CO2 an. Es sagt zu uns: »Spart Kohlensäure, und die Unwetter werden sich im Zaume halten!« Das Problem unserer inneren Balance löst sich damit jedoch nicht, so schön die Idee auch sein mag, uns einzubinden und etwas tun zu lassen. Wir können nur Schlimmeres verhindern. Aber das, was bereits jetzt im Argen liegt, wird nicht besser, wenn wir den Stuck unserer Häuser mit Plastik überkleben, um sie zu dämmen (siehe letzte Ausgabe). Und wenn wir hören, dass die von uns mühsam einzeln gesammelten Verpackungen an manchen Orten wieder mit dem ordinären Müll zusammengeworfen werden, dann will der Sinn auch nicht zu uns kommen.

Der Klimawandel ist eine Tatsache, die das Leben vieler Menschen auf der Welt bereits jetzt verändert. Aber die Bemühungen, den Umweltschutz in einen neuen Kontext einzubinden, der wieder einmal auf Angst basiert, hilft nicht gegen die Ohnmacht. Was wir besser gebrauchen könnten, wäre ein gedanklicher Twist, der die Möglichkeiten des Einzelnen, auf das Leben aller Menschen in positiver Weise einzuwirken, größer erscheinen lässt. Damit meine ich nicht zu betrügen, aber die Sichtweise zu verändern. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Einzelne das große Ganze mehr beeinflussen kann, als er gemeinhin glaubt. Doch damit Menschen mitwirken, die Situation zu verbessern, müssen sie motiviert sein. Nur wenige probieren etwas, das anscheinend kaum Chancen auf Verwirklichung hat. Und hier kommen die Nachrichten ins Spiel: Auch wenn etwas gelingt, ist es eine Meldung wert. Und zwar nicht nur ein Rekordversuch, sondern auch langfristige Vorhaben, oder positive Wendungen früherer Problemnachrichten. Doch über einen ordentlichen Zettelkasten von Projekten, die man in einigen Jahren nochmal aufsuchen sollte, scheinen nur die wenigsten  Journalisten zu verfügen.

Würden in den Nachrichten darüber hinaus nicht nur Momentaufnahmen eskalierter Situationen beschrieben, sondern auch Muster gezeigt, Vergleiche gezogen, Ursachen angedeutet, so wäre ein Schritt hin zu einer Lösung schon aufgezeigt, der Denkprozess in Gang gesetzt. Das schätze ich an den hintergründigeren Medien wie manchen Wochenzeitungen  oder Radiosendern wie dem Deutschlandfunk. Doch – und jetzt wird es unangenehm _ ist dieses komplizierte Zeug Einigen zu anstrengend. Die Ablenkung zwischen den unsäglichen Nachrichten (die es auch in diesen Medien gibt), fällt zu gering aus; der Fokus auf die Probleme erscheint für diejenigen, die anderes gewöhnt sind, zu heftig.

Sollte das alles also leichter verdaulich sein, spannender aufbereitet, knackiger, zusammengefasster? Vielleicht manchmal. Aber das versucht man ja schon. Die Geschichte der beschriebenen Medien in den letzten Jahrzehnten besteht darin, sich immer mehr anzupassen an die Gewohnheiten, die anderswo gebildet werden. Zum Teil ist dadurch ein besserer Zugang erreicht worden. Doch wenn sich gleichzeitig das Niveau der »Shock and Awe and Entertain«-Sender weiter in den Boden schraubt, ist kaum etwas gewonnen. Immer primitiver werden die Seh- und Hörgewohnheiten eines großen Teils der Medienkosumenten, so dass besagter Abstand zur Gewohnheit doch immer gleich bleibt. Eine allgemeine Spirale ist in Gang gesetzt, die  Fortschritte im Bildungs- und Denkniveau schwieriger macht. Gelang die Alphabetisierung in unseren Breiten noch unglaublich erfolgreich, so dass die Meisten schon seit geraumer Zeit Lesen und Schreiben können, so ist die Fähigkeit differenzierter Wahrnehmung und Denkweise keine vergleichbare Erfolgsgeschichte. Leute geringerer Bildung können in der Lage sein, Dinge klar zu erkennen und für sich sinnhaltige Fundamente des Lebens zu errichten. Doch fehlt ihnen anschließend das Werkzeug, um auf diesem Fundament mit an der gesellschaftlichen Verbesserung zu arbeiten. Das liegt zum Einen an einem untauglichen Bildungssystem (dass in letzter Zeit ja auch sein Fett wegbekommt, ohne dass eine Lösung schon gefunden ist), zum anderen aber an einem gesellschaftlichen Klima, dass von der substanzlosen Unterhaltungsindustrie mit dem Konzept« Schockieren durch Nachrichten – Ablenken durch Unterhaltung« geprägt ist. Ein ähnliches Konzept wie das schon zitierte »Shock and Awe«, das aus dem Irakkrieg 2003 bekannt ist: Durch auf Schockwirkung ausgelegte (militärische) Operationen den Feind so zu verunsichern, dass eine Verteidigung sinnlos erscheint.

Dieses Konzept scheint bei vielen Nachrichtenkonsumenten zu funktionieren. Doch in wessen Interesse ist das so? //