Weinen

Im Meer ist Salz. Dieses Salz stammt aus Tränen. Die Lebewesen auf dieser Erde haben viel geweint, solange es sie gibt. So kam diese unendliche Menge materialisierter Traurigkeit zusammen. Wir spüren das, wenn wir am Strand sind und hinausschauen in die Weite. Wir werden ruhig, klar, konzentriert angesichts dieser übermächtigen Erinnerung an unser Leid und das Leid derer, die vor uns waren. Die größten Tränen entlassen die Wale aus ihren Augen. Kein Forscher hat dies je gesehen, da ihre neuen Tränen nicht von den alten zu unterscheiden sind.

Doch gibt es auch Tränen der Freude, der Rührung. Auch diese Tränen sind das Meer. Wenn Fische in großen Schwärmen wirbelnde Wolken bilden, dann lachen sie laut dabei und geben ein paar kleine Tränen für diese Freude. Aber auch die Landtiere und die Menschen füllen das riesige Reservoir. Nur scheinbar trocknen Tränen an Land. In Wirklichkeit werden sie zu Wolken und gelangen durch den Regen in Flüsse, die unweigerlich ins Meer führen. Wenn also die Sonne verdeckt wird, dann nur durch unsere Tränen.

Die Gegenwart ist nur eine Illusion. Wenn wir denken, wir sind hier und jetzt, dann denken wir auch, wir könnten den Moment festhalten. Aber das gelingt uns nicht. Die Zeit vergeht weiter. Unser Kopf, der sich sehr konzentrieren muss, um den Moment des Jetzt zu würdigen, spielt uns sehr bald einen Streich und lässt unsere Aufmerksamkeit durch Gedanken bewölken, die außerhalb des Momentanen liegen. Schon ist der Moment weg, und wiederkommen wird er nicht.

Manchmal fehlt uns die Überzeugung, dass das Wünschenswerte, das Gute, das Schöne doch noch kommt. Manchmal ist der Tunnel so lang, dass wir unsere Seele zusammenschnüren müssen, ihr ständig vor Sehnsucht wachsendes Volumen mit Strippen einengen, damit nicht der ganze Tunnel verstopft und wir festsitzen mit dieser Klumpenseele. Uns weder vor- noch zurückbewegen können, weil die Tunnelwände und die fleischige Seele sich gegeneinander drücken wie fröstelnde Tiere.