Ausnahmen machen Spaß / oder / Die Freiheit, sich selbst zu begrenzen

Der Mensch denkt gern in Extremen. Es sei ihm gegönnt. Die Umsetzung extremer Ideen endet aber entweder in der Katastrophe oder in einem Kompromiss, dazwischen gibt es wenig.

Du kannst tun, was Spaß macht und anderen nicht schadet. Auf diesen Konsens können sich die meisten wohl rein theoretisch einigen. Aber darüber hinaus? Ist es Freiheit, zu wissen, dass etwas keine guten Wirkungen hat, und es dennoch zu tun, weil es in einem bestimmten Augenblick nun mal Spaß macht? Aber macht Sucht Spaß oder ist sie einfach nur ein Übel, dass man sich schönredet?

Wir glauben zu wissen, was unserem Körper gut tut und was nicht. Und trotzdem können sich die meisten nicht immer zusammenreißen. Es kommt das Besäufnis, die Zigarette, die Schokolade. Doch schadet uns dieser gelegentliche Exzess? Gehört das nicht zum Leben dazu? Kann man immer moderat sein? Verhindert die ständige Selbstoptimierung intensive Erfahrungen? Andererseits: Sind starke Erfahrungen nur mit diesen Hilfsmitteln zu machen? Immerhin nehmen Menschen schon seit sehr langer Zeit Drogen, Hinweise gibt es z.B. auf den Fliegenpilzrausch aus der Zeit vor zwanzig- bis dreißigtausend Jahren. Wenn die Einnahme von Drogen also ein Betriebsunfall der Menschheit ist, so gehört dieser Unfall fest zu uns, trotz aller Bemühungen, dagegen vorzugehen.

»ausnahmsweise«

Damit untrennbar verbunden ist das Phänomen der Ausnahme. Sie tritt in der Natur permanent an verschiedenen Stellen auf. Es gehört geradezu zur Grundordnung der Natur, dass es neben dem am meisten Vorkommenden auch die weniger häufigen, ganz anderen Vorkommnisse gibt.

Ausnahmen bringen besonders viel Spaß, eben weil sie außerhalb der Regel stehen. Es gilt, sie zu kultivieren, um die Freude daran zu genießen. Aber das ist gerade das Interessante an ihr: Wir können die Ausnahme nicht einfach häufiger machen, weil sie dann nicht mehr sie selbst ist. Kultivieren heißt also vielmehr, nicht in Gewohnheiten zu verfallen, sondern bewusst Akzente zu setzen, die anders sind als der Rest. Es bedeutet, wach zu bleiben für das Neue, und sich nicht einfach immer höhere Dosen zuzuführen, die letztlich zur Unwirksamkeit einer Stimulaton führen. Damit läuft die Ausnahme konträr zu den Möglichkeiten und gemeinen Lösungsansätzen unserer Zeit, denn in den westlichen Ländern verfügen wir über genügend Reichtum, so dass wir uns die Erhöhung der Dosis als für uns zuerst einfachstes Instrument angewöhnt haben. Wir denken hier quantitativ, wo wir die Qualität der seltenen Besonderheit schätzen sollten, wo wir akzeptieren sollten, dass sie gerade aus dem Raren ihre Vortrefflichkeit schöpft.

Genießen wir aber nur das, was uns schadet? Nein. Aber wir genießen es, auch mal Dinge zu tun, die nicht rational erklärbar sind, die unserem Experimentiergeist und unserem Gefühl entsprechen. Wir spüren, dass wir so unsere Sichtweise auf die Dinge wenigstens für eine begrenzte Zeit verschieben können, und schöpfen daraus neue Kraft.

Auch die Kultur bringt uns dazu, Dinge zu tun, die wir aus rationellen und rationalen Gründen vielleicht nicht tun würden. Indem wir uns fein machen, um auszugehen, schlüpfen wir in eine Rolle und sind begeistert von unserer Verwandlungsfähigkeit. In jedem Zurechtmachen für eine Party oder ein klassisches Konzert steckt die Möglichkeit eines ganz anderen Lebens. Diese Freiheit brauchen Viele von uns ab und zu, auch wenn der Kater am nächsten Morgen oder der zu kurze Schlaf unsere ökonomische Verwertbarkeit einschränkt.

Obwohl die Logik der Naturwissenschaften wichtig ist für viele Entscheidungen, so darf sie eben nicht zum einzigen Wegweiser werden. Naturwissenschaft entwirft Modelle, die die komplexe Wirklichkeit nie ganz richtig abbilden können. Stattdessen liegen auch gerade in der Irrationalität des Menschen unendliche Möglichkeiten, die Welt zu sehen und sie immer wieder neu zu betrachten – beispielsweise mit den Mitteln der Kunst. Jeder muss einen individuellen, nicht genormten Zugang zur Welt finden, wobei die das Erfahren der Natur wichtig ist – das setzt Gefühle und auch Verständnis frei, die für uns als »tierische Lebewesen« von oft unterschätzter Bedeutung sind.

Öffentlicher Raum, Verbote und Rücksichten

Der Begriff der Community findet gerade häufig Verwendung. Aber Communities sind ganz schnell »gated«. Wir müssen statt einer Interessengemeinschaft die Gesellschaft erhalten _ dieser Begriff umfasst Grundlagen, die von der Mehrheit getragen werden können.

Ein Mensch kann nur dann glücklich werden, wenn er dem Gros der Außenwelt nicht feindlich gegenüber steht. Deshalb kann auch der reichste Mensch in der Abgeschiedenheit seiner bezahlten Beschützer und elitären Zirkel nicht glücklich sein, wenn er den Rest der Gesellschaft als bedrohliches Pack sieht.

Jeder Mensch hat verschiedene Dimensionen und lässt sich nicht nur auf ein Interesse oder eine Eigenschaft reduzieren. Wir brauchen öffentliche Räume, in denen wir auf Menschen treffen, die anders sind, und mit denen wir trotzdem zurechtkommen. Auch darin drückt sich Zivilisation aus.

In diesen öffentlichen Räumen lernt man auch, nicht nur aus Eigeninteresse solidarisch zu sein, sondern aus Mitgefühl. Das verbessert nicht nur das Klima einer Gesellschaft, sondern macht die meisten Menschen auch froher.

Wie weit soll der Staat gehen?

Eine Frage, die im Moment und immer wieder ansteht, ist diese: Soll der Staat uns vor unserer Selbstzerstörung schützen? Oder sind im Namen der Freiheit statistisch einfach eine gewisse Zahl von Opfern einzuplanen? Kann es Kollateralschäden der Freiheit geben, Opfer also, die unvermeidlich sind, wenn Freiheit herrscht?

Ich denke, dass die Freiheit in den hier untersuchten westlichen Ländern  systematisch eingeschränkt wurde. Eine für alle bezahlbare Pflichtkrankenversicherung für alle im Sinne einer vorsorgenden Solidargemeinschaft empfinde ich allerdings als Einschränkung der Freiheit, die es wert ist, auch wenn sogar Zahnlose in den USA gegen diesen »Kommunismus« des Barack Obama wettern. Dieses heute seltene Beispiel einer Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung aber täuscht darüber hinweg, dass wir mit sinnlosen, kleinsten Eingriffen in unsere Privatsphäre in eine Richtung gelenkt werden, in der der öffentliche Raum immer mehr aus Beschränkung und Verzicht besteht, bis er unattraktiv geworden ist und nicht mehr exisitiert, oder aber sich – unter dann privater, kameraunterstützter Kontrolle – innerhalb von Shopping Malls abspielt.

Mag diese Richtung, in die wir gehen, sogar richtig im Sinne einzelner Aspekte wie unserer Gesundheit sein, so stehen diese Einschränkungen unserer Freiheit für den großen Kontrollwahn, dem wir ausgesetzt sind, und der allein den Mächtigen dient. Deshalb das verbreitete Unwohlsein gegenüber einem Rauchverbot, dass für sich allein natürlich eine folgerichtige Konsequenz darstellt.

Individualität nicht nur durch modische Hosen, sondern durch Anders-Tun

Eine unheilige Allianz aus Konzernen und Hinterzimmerzirkeln wird nicht aufgeben, unsere Freiheit mittels der Elektronik einzuschränken, bis nur noch ein Bruchteil davon übrig ist. Dabei geht man so vor, dass wir es möglichst nicht bemerken oder aber unsere Überwachung freiwillig begünstigen (Handys und vor allem Smartphones als Wanzen, die wir selbst bezahlen und ständig mitführen). Diese Intrige gilt es zu stoppen, wozu eine Verhaltensänderung jedes einzelnen von uns nötig ist. Individualität nicht nur durch modische Hosen, sondern durch Anders-Tun. So könnte der Wandel beginnen, so können Vorbilder entstehen.