Machmal sagt unsere Tochter:
»Ich will das!
Es ist schön, wenn jemand weiß, was er will. Viele wissen das nicht. Sie ist drei Jahre alt und wenn sie etwas will, dann will sie es impulsiv. Sie denkt nicht näher darüber nach, sondern hat Lust darauf. Sie hat Lust auf Süßigkeiten, durch die Pfütze zu rennen, Pippi Langstrumpf zu gucken, mit Fingerfarben zu malen.
Wir Gewachsenen (um in der Sprache der Tochter zu bleiben) folgen nicht mehr so oft unserem Impuls. Wir haben gelernt, uns zurückzuhalten. Wir geben nicht sofort unserem Bedürfnis nach, ohne Gummistiefel durch die Schlammpfütze zu gehen. Vielleicht wissen wir nicht mal mehr, dass wir dieses Bedürfnis haben. Dieser erste Impuls entsteht sofort, wenn wir die Pfütze sehen. In ihm drückt sich eine Art Instinkt oder Urgefühl oder Ur-Wollen aus, noch unbeeinflusst von Regeln, Moral oder Glaubenssätzen. Erst danach greifen die Filter der »Vernunft« (die ja nicht immer zwangsläufig vernünftig sein muss). Wir spüren dann gleich das Korsett der Erziehung – »das darf ich nicht«, »was würden die anderen über mich denken«, usw. Nur deshalb konnten wir eine Zivilisation entwickeln, aber auch genau darum werden wir manchmal sehr unglücklich. Jeder Mensch will auch mal seinem Impuls folgen dürfen. Wenn er das niemals darf, staut sich was auf.
Soll man also immer dem ersten Impuls folgen? Bevor ich jetzt impulsiv mit JA antworte, überlege ich erst. Dann entschließe ich mich wieder für ein JA. Obwohl man es eigentlich so pauschal nicht sagen kann. Aber ich erinnere mich an Situationen, in denen ich es gegen meinen ersten Impuls mit Leuten versucht habe, mit denen ich dann doch negative Erfahrungen machte. Recht hatte ich. Und doch: Es lohnt sich auch manchmal, seinen ersten Impuls zu ignorieren. Nämlich dann, wenn man sich nicht festfahren will in der eingeschlagenen Spur. Ich erinnere mich genauso an Leute, die ich zuerst merkwürdig fand, später doch aber dauerhaft gut. Jetzt bin ich froh, dass ich die kenne.
Ich tue etwas impulsiv, weil ich es will. Aber was heißt WOLLEN hier? Es ist nicht immer das Richtige oder Gute. Es lebt im Augenblick. Es ist mein inneres Kind. Das lässt sich also sagen: Es achtet nicht darauf, ob etwas langfristig GUT ist. Es will etwas Angenehmes jetzt sofort, in diesem Augenblick, ohne an die Folgen zu denken. Denn baldige Belohnungen erscheinen meist lohnender als eventuelle Anerkennung in der ferneren Zukunft.
Wohin leiten wir Erwachsenen also unsere Impulsivität? In den westlichen Ländern kaufen wir uns »jetzt mal was«. Eine schnelle Belohnung, die die Wirtschaft antreibt, aber leider starke Nebenwirkungen hat. Wir produzieren und horten immer mehr, weil wir keinen anderen Weg wissen, uns zu belohnen.
Auch im Internet bieten Facebook und Twitter enormes Belohnungspotenzial. Sich abends vor die Glotze schmeißen – auch das sehen viele als Belohnung für die Mühen des Tages. Der Akteur will endlich passiv sein dürfen, und die Welt defilieren lassen. Ich verstehe das. Nur habe ich manchmal das Gefühl, wir könnten uns besser belohnen, und wir wüssten nur nicht, wie das geht.
Die Kinder lassen erst gar keinen inneren Stau entstehen. Vielleicht mache ich das jetzt auch mal so wie die Tochter. Ich komme in die Küche und rufe: »Ey Lampe! Ey Stuhl! Ey Tisch!«. Nur weil ich gerade Lust dazu habe.
Oder ich mache es wie der Sohn einer Freundin, 5 Jahre alt. Beim Imbiss drängelt er vor, wirft das Geld auf den Tisch und ruft aus: »Ich will Fleisch.«
Aber so geplant ist das ja auch nichts.